Leider wissen die meisten von uns: Familie und Weihnachten ist nicht immer ganz einfach. Besonders bei diesem großen Familienfest werden uns oft alte Schmerzen wieder bewusst und bahnen sich ihren Weg an die Oberfläche. Eltern haben gerade zu Weihnachten meist große Erwartungen an ihre Kinder. Und natürlich braucht jedes Kind die bewusste Zeit mit der Familie, die damit verbundene Geborgenheit, die liebevollen Ratschläge. Kinder wollen an Weihnachten aber auch einfach die freie Zeit genießen, feiern gehen und Zeit mit den Freunden verbringen. Und so prallen sämtliche Vorstellungen und unausgesprochenen Wünsche aufeinander. Und das gerade an Weihnachten, wenn die ganze Familie zusammenkommt. Das Spannende ist dabei, dass nicht nur wir diese Sehnsucht nach Familienversöhnung jedes Jahr an Weihnachten verspüren. Auch Jesus selbst wurde Teil der kleinen Familie von Maria und Josef, und reihte sich damit in eine lange Familientradition des Stammbaums ein. Er begab sich in genau solch ein uns bekanntes Spannungsfeld, indem auch er ein Familienmitglied wurde. Er ging das gleiche Risiko ein, von den am meisten geliebten Menschen verletzt zu werden. Auch er durchlebte den Prozess, sich von den Eltern zu lösen, was besonders für seine Mutter nicht immer einfach war, wie wir in den Evangelien, die ersten vier Bücher im Neuen Testament, an der ein oder anderen Stelle erkennen können. Er wusste um die Zerbrechlichkeit des Mikrokosmos Familie. Und vielleicht ist genau das der Grund, warum ihm das Thema Vergebung und Versöhnung so wichtig war. Jesus selbst sehnte sich nach Familienversöhnung. Er reihte sich in einen Stammbaum ein, um nach Zuständen des Scheiterns und Versagens wieder Hoffnung auf Versöhnung zu machen. Er war gekommen, um Versöhnung in die verzwicktesten Familienfehden zu bringen, um Ruhe in tobende Stürme zu sprechen und um Frieden in aufgewühlte Herzen zu geben. Für ihn gibt es kein »zu spät«, denn Jesus glaubt an ein Happy End! Ganz egal, wie aussichtslos eine Wiederherstellung oder Gesundung scheint. Es ist sein Wunsch, dass wir unsere Herzen für Vergebung und Versöhnung öffnen und dass das Happy End mit der glücklichen Familie nicht nur eine Illusion der Weihnachtsfilme bleibt. Wissen Sie noch, wie Sie als kleines Kind an Weihnachten geglaubt haben? Wahrscheinlich wie die meisten Kinder an eine ganz bestimmte Vorstellung davon, wie es am Heiligabend sein wird. Ein geschmückter Baum, Wünsche, die in Erfüllung gehen, Lieder, die gesungen werden, und die ganze Familie glücklich zusammen. »O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!« Als Kind lagen wir nachts mit geschlossenen Augen im Bett und glaubten ohne jeden Zweifel, dass es genau so werden würde. Doch irgendwann wurden wir erwachsen. Eines Tages machten wir die Augen auf, und diese gnadenbringende Weihnachtszeit war verschwunden. Es ist so: Eines Tages wurde uns klar, dass Weihnachten vielleicht ein bisschen anders ist, als wir es uns als Kind erträumt hatten. Dass nicht jeder unserer Wünsche in Erfüllung geht. Und als Erwachsene wissen wir, dass unsere Partner und Familien, die Menschen, die wir lieben, uns am meisten verletzen werden. Egal, wie sehr wir uns dagegen wehren, jedem von uns passiert so etwas irgendwann einmal. Und das ist eine schreckliche Erfahrung. Darum ist es so wichtig, dass wir das Lied »O du fröhliche, o du selige« zu Ende singen: »Christ ist erschienen, uns zu versühnen:
Freue dich, o freue dich, du Christenheit!«20
König, Oskar. 24 x Weihnachten neu erleben (German Edition) (S.75-76). SCM R.Brockhaus. Kindle-Version.